Interview mit Minister Prof. Dr. Jörg Steinbach

Zur Vorbereitung der ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2024 sprach Johann Terres vom Forum für Zukunftsenergien mit Prof. Dr. Jörg Steinbach, Minister für Wirtschaft, Energie und Arbeit des Landes Brandenburg, zu seiner energiepolitischen Bilanz der aktuellen EU-Kommission und zu seinen Erwartungen an die Arbeit der neuen Komission.

Prof. Jörg Steinbach: Die Energiepolitik der EU-Kommission der vergangenen vier Jahre war von großen Herausforderungen gekennzeichnet, die bewältigt werden mussten. Die letzten zwei Jahre waren durch den unsäglichen Überfall Russlands auf die Ukraine und dessen Folgen für die Energieversorgung, die Energiesicherheit und die Energiepreise gekennzeichnet. Das Energiethema rückte damit noch stärker in den Fokus der EU-Politik. Das war auch richtig so. Die politisch erforderliche Reduzierung der Abhängigkeit von russischen Energieimporten führte zu großen Unsicherheiten für die Energieversorgung in Europa. Kurzfristig mussten alternative Versorgungslösungen gefunden und umgesetzt werden, ohne gleichzeitig das große Ziel der Energiewende zu gefährden. Deshalb galt es, die Bemühungen zur Überarbeitung des Emissionshandelssystems und die Förderung von erneuerbaren Energien weiter mit Nachdruck zu verfolgen. Die Anstrengungen zur Senkung der CO2-Emissionen und zur Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch wurden intensiviert. Die aktuelle EU-Kommission hat große Schritte zu einer nachhaltigeren Energiepolitik unternommen. Dazu wurden u. a. das EU-Klimaschutzgesetz, der Green Deal, Fit for 55 und REPowerEU auf den Weg gebracht. Die neue EU-Kommission muss an dieser Stelle ohne Verzögerungen anknüpfen und für Verlässlichkeit sorgen.

Prof. Jörg Steinbach: Es ist unbestritten, dass die ambitionierten Klimaziele, die der Green Deal formuliert, erhebliche Folgen für die Wirtschaft mit sich bringen. So werden z. B. die CO2-Preise deutlich steigen, da die CO2-Zertifikate im Europäischen Emissionshandel sukzessive reduziert werden. Dies wird zur Folge haben, dass Betriebe um wettbewerbsfähig zu bleiben, zukünftig vermehrt in eine klimaschonende Energieversorgung bzw. Produktionsprozesse investieren müssen. Dort, wo technologische Möglichkeiten noch fehlen, wird u. a. das gerade ausverhandelte „Netto-Null-Industrie-Gesetz“ (Net-Zero-Industry Act, NZIA) helfen. Mit dem NZIA will die EU-Kommission die Fertigung von klimaschonender Technologie forcieren. Die Behörden werden dann schneller Projekte mit höheren Produktionskapazitäten genehmigen. Darunter fällt u. a. die Herstellung von Bauteilen für die Windkraft, Solarzellen, Batterien und Energiespeichertechnologien, Elektrofahrzeugen, Wärmepumpen, Wasserstofftechnologien. NIZA wird überdies dazu beitragen CO2-Technologien zur Abscheidung, Speicherung und der Wiederverwendung von CO2 sowie die dazu gehörende CO2-Infrastruktur zu fördern. Ich denke, der Green Deal hat durchaus dazu beigetragen, das Bewusstsein für den Wandel zu schärfen und die ökologische Transformation in der Wirtschaft voranzutreiben. Es ist erkennbar, dass immer mehr Standortscheidungen und Investitionen keine fossilen Systeme mehr miteinbeziehen und Investitionen in den Klimaschutz eher früher als später getätigt werden. Darüber hinaus würde ich durchaus auch von einem Deal sprechen, da einige wichtige Grundlagen geschaffen wurden, die der Wirtschaft bei der Transformation helfen. So wurde neben dem NZIA u. a. die Überarbeitung des befristeten Krisen- und Übergangsrahmens (kurz TCTF), der auf eine höhere Flexibilität für staatliche Subventionen insbesondere im Sektor Batterie abzielt, vorgenommen.

Prof. Jörg Steinbach: Insgesamt stehen wir vor der Herausforderung, eine nachhaltige Energie- und Wirtschaftspolitik zu entwickeln, die sowohl ökologische als auch ökonomische Ziele verfolgt. Wir müssen den Übergang zu erneuerbaren Energien beschleunigen, um unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern und um Treibhausgasemissionen zu vermeiden. Dies erfordert Investitionen in erneuerbare Energietechnologien und den Ausbau der entsprechenden Infrastruktur. Außerdem müssen wir die Energieeffizienz verbessern, um Ressourcen zu schonen und Kosten zu senken. Dies kann durch die Förderung energieeffizienter Technologien und die Sensibilisierung der Verbraucher für einen bewussten Umgang mit Energie erreicht werden. Der Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft kann zu Arbeitsplatzverlusten in bestimmten Sektoren führen, während gleichzeitig neue Arbeitsplätze in den Bereichen erneuerbare Energien und grüne Technologien entstehen. Es ist wichtig, diese Übergänge sozial gerecht zu gestalten und die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu unterstützen. Wir brauchen sowohl qualifizierte Arbeitskräfte, die Lust am Gestalten des Strukturwandels haben als auch innovative Lösungen, um den Übergang zu einer kohlenstoffarmen und ressourceneffizienten Wirtschaft zu ermöglichen.

Prof. Jörg Steinbach: Die Erwartungen an die Politik der neuen EU-Kommission sind vielfältig. Brandenburg wünscht sich von der Kommission eine längerfristige Unterstützung für den Strukturwandel in der Kohleregion Lausitz und für die Transformation des Raffineriestandortes Schwedt. Wir brauchen hier, wie auch an anderen Stellen, Kontinuität und Verlässlichkeit zur Schaffung nachhaltiger Entwicklungsmöglichkeiten. Dies schließt die Schaffung von Arbeitsplätzen in „grünen“ Sektoren und die Sicherstellung einer gerechten Transition für die dortigen Gemeinden ein. Die Kommission sollte zudem Rahmenbedingungen schaffen und erhalten, unter denen die regionale Entwicklung und der Ausbau der Infrastruktur in Brandenburg vorangebracht werden können. Das gilt vor allem für Themen wie erneuerbare Energien und digitale Infrastruktur. Darüber hinaus wird von der neuen Kommission erwartet, dass sie die Bedeutung der ländlichen Räume anerkennt und entsprechende Förderprogramme bereitstellt, um die Lebensqualität und wirtschaftliche Entwicklung in Brandenburgs ländlichen Gebieten zu verbessern. Auch wünschen wir uns, dass die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen einzelner Regionen wie Brandenburg aufgegriffen werden und eine Politik verfolgt wird, die die regionalen Gegebenheiten berücksichtigt. Die Europäische Union ist nicht nur ein Zusammenschluss der 27 Mitgliedstaaten, sondern auch ein Zusammenschluss der 270 europäischen Regionen, ohne die Europa nicht funktionieren kann.

Autor

Johann Terres

FSJ-Politik
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terres@zukunftsenergien.de

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